Es gab viele Menschen in meinem Leben, welche in mir etwas sahen, das ich niemals war oder sein werde. So als würde meine Erscheinung, mein Antlitz oder was immer es auch war, den Freiraum lassen mich wie eine Barbiepuppe zu gestalten und zu verformen.
Mein Leben, wie man mit mir umgegangen war und was ich selbst getan und daraus gemacht habe, hat mich gelernt mich anzupassen. Doch anpassen und einen Weg zu suchen, heisst nicht sich zu verbiegen, zu schleimen und schon gar nicht sich selbst zu verlieren. Nur bevor man sich überhaupt verlieren kann, muss man sich wohl erst einmal finden. Denn meist wissen andere längst wer und wie Du bist, bevor Du Dir selbst diese Frage das erste Mal stellst.
Es gab Zeiten, da hörte ich andere Menschen erzählen, wie ich und wer ich bin. Einmal gar in einem Bus als Fahrgast. Zwei Fahrgäste, eine Sitzreihe vor mir, diskutierten eifrig über genau mich. Wie grauenhaft ich sei, was ich alles schon getan hätte. Einer ereiferte sich mehr als der andere um eine noch unglaublichere Geschichte über mich zum Besten geben zu können.
Voller Spannung hörte ich zu, immerhin sehr interessant mich selbst endlich kennen zu lernen. Mit ein paar geschickten Fragen und Erläuterungen brachte ich noch ein wenig Farbe in diese gewalttätige und düstere Beschreibung meiner Person. Schliesslich wollte ich bei all diesen Gräueltaten nicht einfallslos wirken – es war mir wichtig da eine bunt schillernde Figur zu erzielen, welche jeden Film zu kaltem Kaffee werden liess. Offenbar war mir nicht klar, dass ich längst auf dem Weg war, diese Geschichten wahr werden zu lassen und bekannt zu werden. Bekannt als ein Mensch der nicht mehr menschlich war.
Als ich mit 15 das erste Mal vor einem Richter stand, waren da noch Psychologen dabei, ein Gassenarbeiter und irgendwelche Experten. So als ginge mich das alles gar nichts an, sass ich da und hörte diesem ach so gebildeten Dialog zu. Fast hätte ich den Moment noch verpasst, dass man mich gar selbst befragte, so liess ich mich von den ganzen Beschreibungen meiner Persönlichkeit einem Wellenbad gleich, treiben.
Mein Lieber Junge, hallo – meinte der Richter – weisst Du wir wollen Dir doch nur helfen, dass Du wieder auf den richtigen Weg kommst. Wir meinen es doch nur gut mit Dir – es ist nicht schön, dass man als Kind schon so unmenschlich reagiert.
– Gericht Rheinfelden
Ich musste die Worte noch einmal in mir Revue passieren lassen – ich wurde also als unmenschlich betitelt von dem ach so erhabenen Richter? Als Kind – gar als eines mit einer tragischen Kindheit welche ach so schlimm war. Ja merkte der nicht, dass er eigentlich sich selbst widersprach. Tun die ach so netten Weltverbesserer ja bis zum heutigen Tage.
Denn wie sollte ich unmenschlich sein – wenn ich das nur anwendete, wo ich doch genau bei den Menschen gelernt hatte! Sollte das also heissen, all die welche mir das vorher angetan hatten waren keine Menschen?
Oder dies waren Menschen und weil ich gelernt hatte mich zu wehren und ein wenig mehr, war ich unmenschlich. Unmenschlich, weil diese ach so guten Menschen mir in Zukunft nicht mehr Ihre Menschlichkeit angedeihen lassen konnten?
Es war nicht leicht das zu begreifen mit meinen 15 Jahren. Aber schon damals wusste ich – es gab wirklich eine Art Menschlichkeit und wenn das die allgepriesene Menschlichkeit war, die ich erlangen sollte, dann hatte ich noch einiges zu trainieren.